Noch ein bisschen näher ran, sei kein Feigling, sagte ich mir gedanklich immer wieder und wagte es den nächsten Schritt in Richtung Lager zu unternehmen. Weiß stieg die kalte Nachtluft auf, die aus meinen Nasenlöchern strömte, als ich langsam ausatmete. Ich versuchte flach zu atmen, lautlos, denn ich wusste nicht, wo sie überall ihre Späher versteckten, dazu hatte ich nicht genug Erfahrung.
Ich schalt mich für meine eigene Dummheit, ich hätte nicht hierher kommen sollen, doch meine Neugier – verflucht sei sie – hatte mal wieder den Kampf gegen die Vernunft gewonnen und anstatt schnellstmöglich zur Academy zurückzukehren, war ich vermutlich schnurstracks in meinen Untergang spaziert.
Sehr schlau, lobte ich mich selber und richtete meine Konzentration wieder auf die Menschengruppe. Das Lagerfeuer war etwa 300 Meter von mir entfernt, doch meine Augen konnten die 7 Männer, die sich drum herum gesetzt und in Decken gehüllt hatten, ganz scharf ausmachen. Behutsam schlich ich weiter durch den dunklen Wald, denn meine Ohren vernahmen nur leises Gemurmel, doch die Worte verstand ich nicht. Wenigstens war ich im Anpirschen keine Null, da stellte ich mich doch recht gut an.
Nun roch ich noch mehr von ihnen, einen ganz in der Nähe. Sie hatten also Wachen aufgestellt, na klar, die waren ja nicht so blöd wie ich. Ich hielt mich eher links, als ich mich noch weiter vor wagte, ich wollte hören, was sie planten, denn ich wusste, dass es Jäger waren. Kein normaler Mensch begab sich nachts in diesen Wald und garantiert nicht mit einer Gruppe von etwa 12 Männern. Im Gedankenlesen war ich leider auch zu schlecht, sodass mir diese Fähigkeit bisher leider doch eher verschlossen blieb und ich sie hier nicht nutzen konnte.
Ein beklemmendes Gefühl erfasste mich urplötzlich und obwohl es mir normalerweise nichts ausmachte, spürte ich doch die nächtliche Kälte auf einmal viel intensiver. Ich hatte Angst und das gefiel mir überhaupt nicht.
„... rauslocken... keine Chance“, murmelte ein bärtiger, grobschlächtiger Mann mit grollender Stimme. Auf die Antwort eines anderen hin, stieß er ein Lachen aus, doch ich hatte die Antwort nicht verstehen können, ich war noch immer zu weit weg. Die Neugier trieb mich voran, ich wollte um jeden Preis hören, was sie sagten. KNACK.
Oh fuck, verdammte Scheiße!, schrie mein Inneres, denn nicht unweit neben mir war eine Gestalt wie auf dem Nichts aufgetaucht. Noch während ich herumwirbelte, um die Flucht anzutreten, erhaschte ich einen Blick auf die Armbrust, die bereits auf mich gerichtet war. Panisch sprintete ich los, hörte das Surren des Pfeils und spürte keine Sekunde später den brennenden Schmerz des Streifschusses an meiner Schulter. Weihwasser, schoss es mir durch den Kopf denn es brannte höllisch, ätzte mir die Haut um die Wunde herum weg und fraß sich in mein Fleisch. Doch ich riss mich zusammen und hetzte durch den Wald, hinter mir die trampelnden Schritte meines Verfolgers.
Grazil war der ja nicht grade, kam mir der spöttische Gedanke.
Wenn du dafür Zeit hast, hast du auch Zeit schneller zu rennen, mahnte mich die Stimme in meinem Kopf und ich tat, was sie sagte, denn sie hatte Recht. Verdammt, wie ging das denn nochmal mit der Verwandlung? Ich versuchte mich zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war, weil ich tief hängenden Zweigen ausweichen und aufpassen musste, dass ich nicht stolperte. Zwei Sekunden später war mein Körper von Federn bedeckt, ich schrumpfte und meine Arme verwandelten sich in kräftige schwingen. Schnell erhob ich mich in die Luft, der Weg zur Academy war nicht weit, schon einige Minuten später setzte ich zum Landeanflug an, der Luftweg war um einiges schneller. Meine Schulter brannte höllisch und jeder Flügelschlag kostete mich unendlich viel Kraft. Das Weihwasser hatte in meinen Organismus eingegriffen und mich geschwächt, es waren nur noch wenige Meter bis zum Boden, doch die Verwandlung machte sich von selbst rückgängig und ich landete ziemlich unsanft vor den Füßen meines Lehrers.
„Die Jäger...“, keuchte ich atemlos, „...sie kommen!“
Hoch ragt das alte Schloss über dem großen, schimmernden See auf. Mit seinen Türmchen, Zinnen und den, zum Teil mit Efeu bewachsenen, Mauern macht es einen mystischen Eindruck, als wäre es einem Märchen entsprungen. An Sonnentagen versprüht es einen gewissen Charme, während es des Nachts doch eher bedrohlich und unheimlich wirkt. Umgeben von frischen, grünen Wiesen und einem Wald, der sich in die Weite erstreckt, steht das Schloss sehr einsam in der hübschen Weite des irischen Festlandes bei Limerick. Doch ist dieses Schloss keine Sehenswürdigkeit, aus der man lebend wieder herauskommt, wenn man es einmal betreten sollte, denn es beherbergt die Kinder der Nacht – Vampire.
Und darum geht es:Das Schloss ist das Gebäude der Academy, die ins Leben gerufen wurde, um jungen Vampiren dabei zu helfen mit ihren Kräften umzugehen. Kräfte, die durch ihre Herkunft schon besonders ausgeprägt sind, müssen verfeinert werden, während andere Kräfte noch tief in ihnen schlummern und erst einmal geweckt werden müssen. Die Schüler entstammen fünf verschiedenen Clans, die aus fünf verschiedenen Ländern der Welt kommen und meistens eher unter sich bleiben. Die Academy sieht vor, diese Clans auf neutralem Territorium miteinander zu verbinden, sie sich gegenseitig näher zu bringen, Freundschaften und Bündnisse zu schließen, die nur hilfreich sein können, denn die Bedrohung lauert in der Welt. Sie lauert immer und auch vor Irland macht sie keinen Halt. Vampirjäger finden sich überall in allen Ländern zusammen, es ist nur eine Frage der Zeit bis sie die Academy auf ihren Radar bekommen und sich miteinander verbrüdern, um die Kinder der Nacht endgültig auszurotten.
Doch wären es nur die Menschen, wäre die Bedrohung kalkulierbar. Nein, auch andere Wesen sind nicht gut auf die Untoten zu sprechen. Die uralte Feindschaft mit den Werwölfen besteht noch immer, auch wenn sich die pelzigen Bestien bisher noch bedeckt halten. Sie sammeln sich, vereinen ihre Rudel, um zum tödlichen Schlag auszuholen. Das Leben als Vampir ist ein Leben im ewigen Krieg und dafür werden die Schüler gewappnet. Sie werden lernen sich zu verteidigen, zu kämpfen, sich die Schwächen ihrer Gegner zunutze zu machen und die eigenen Schwächen zu bekämpfen.
Es wird ein schwerer Weg, doch wir wollen ihn gemeinsam beschreiten.